Stefan Tischler © BR/Astrid Ackermann
31. Januar 2025 | Pia Steigerwald

„Der Klang entsteht im Körper“

Pia Steigerwald im Gespräch mit Stefan Tischler anlässlich der Aufführung von Harmonica für Solotuba und Orchester von Helmut Lachenmann. Das Werk wird im musica viva-Konzert am 22. März 2025 im Münchner Herkulessaal aufgeführt.

Pia Steigerwald: Sie studieren gerade den Solopart von Harmonica ein. Was sind die Herausforderungen?

Stefan Tischler: Es ist die Komplexität – nicht nur, was die unterschiedlichen Spieltechniken und große Bandbreite von Klängen und die musikalische Phrasierung betrifft, sondern auch den Gesamtablauf zu erfassen und dann alles rhythmisch genau auf den Punkt zu bringen. Man muss 31 Minuten hellwach und konzentriert sein, es gibt nur ganz wenige Pausen für den Solisten. Besonders reizvoll sind die vielen verschiedenen Luftgeräusche, Frullato, vor allem, was die Dynamik betrifft. Teilweise muss ich mich gegen ein vierfaches Blech und groß besetztes Schlagwerk durchsetzen. Dafür braucht man nicht nur Kondition, sondern auch mentale Konzentration. Jetzt wo ich mir das Werk erarbeite, ist das genau meine Herausforderung. Und wer Simon Rattle gut kennt, weiß, dass er gerne die Tempi anzieht, das wird eine Challenge.

Steigerwald: Sie spielen ja nicht zum ersten Mal Musik von Helmut Lachenmann.

Tischler: Nein, das BRSO hat im Rahmen der musica viva bereits sehr viele Werke des Komponisten aufgeführt. Ganz besonders intensiv habe ich die Zusammenarbeit für die Erstfassung der My Melodies erlebt. Wir haben damals ganz viel zusammen ausprobiert, wie man Klangeffekte erzeugt und diese technisch notieren kann. Das war sehr spannend. Durch die Offenheit und Experimentierfreudigkeit schafft Lachenmann oft auch eine geradezu phantastische Atmosphäre mit diversesten Klängen.

Steigerwald: Helmut Lachenmann sagt: »Es geht nicht um neue Klänge, sondern um ein immer wieder anders eingerichtetes Hören.« Etwas, das sich ja nicht nur an den Zuhörer wendet, sondern auch an den einzelnen Musiker oder die Musikerin selbst.

Tischler: Unbedingt. Bei uns Blechbläsern entsteht der Klang im Körper. Spätestens durch die Vibration der Lippen. Das ist sehr ähnlich wie bei einem Sänger. Das Blechblasinstrument an sich ist nur noch der Verstärker. Nichtsdestotrotz ein wichtiger Verstärker und wird entscheidend geformt durch das Instrument. Alles Technische geschieht aber im Körper. Und selbstverständlich ist das Hören dann eine entscheidende Instanz, auch zum Abnehmen der Qualität des Klangresultats. Ich denke Helmut Lachenmann ist durch und durch ein Klangästhet. Er hat die verrücktesten Ideen und Konzepte von Klängen, gleichzeitig immer das Bestreben, den bestmöglichsten, vielleicht auch schönstmöglichen Klang gemeinsam mit den Musiker*innen zu finden. Das heißt auch, dass du als Musiker Kreativität und Lust mitbringen solltest, verschiedenes auszuprobieren und dem Ganzen einen musikalischen Ausdruck zu verleihen.

Steigerwald: Was zeichnet die Tuba aus?

Tischler: Die Tuba ist eigentlich wie ein großes Horn. Sie kann genau das gleiche, klingt aber viel tiefer. Der Tonumfang ist ähnlich groß wie beim Waldhorn, aber es gibt bei der Tuba in der tiefen Lage viel mehr Möglichkeiten. Auch dynamisch, vom gehauchtem dreifachen Piano bis zum wirklich großen klangvollen Fortissimo.

Steigerwald: Die Tuba ist mit dem Saxophon eines der jüngsten Instrumente der Musikgeschichte.

Tischler: Ja. Und erst ab der Mitte der 1950er Jahre sind z.B. mit der Hindemith Sonate für Basstuba und Klavier und vor allem mit Ralph Vaughan Williams′ Concerto for basstuba and orchestra die ersten wirklich seriösen Werke entstanden, die die Tuba als gleichberechtigtes Instrument behandelten. Letzteres ist zwar relativ traditionell komponiert, für uns Tubisten war das aber ein Glücksfall. Das Stück ist zum 50-jährigen Jubiläum des LSO entstanden. Das etwas verrückte und technisch sehr anspruchsvolle Capriccio für Solotuba von Penderecki ist in den 1980er Jahren geschrieben worden, also zeitgleich zu Lachenmanns Harmonica, was dann dagegen schon sehr visionär war.

Steigerwald: Wenn Sie Ihren Tubapart bei Harmonica mit einer Assoziation beschreiben müssten, vielleicht mit einem Tier, was wäre das?

Tischler: Ich würde sagen ein Fabelwesen mit einer unglaublich hohen Intelligenz, der Brain eines Außerirdischen, der fünfmal höhere Intelligenz hat als wir Menschen.

Steigerwald: Ganz ohne KI?

Tischler: Ganz ohne KI.

 

Auszug aus dem Programmheft zum musica viva-Konzert am 22. März 2025

Berio, Lachenmann, Boulez © BR/LMN

Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit Sir Simon Rattle

Werke von Helmut Lachenmann, Luciano Berio und Pierre Boulez

Samstag, 22. März 2025 | Herkulessaal der Münchner Residenz

Konzertinfo

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