Komponisten & Werke
Interview mit Markus Hechtle
Im Rahmen des musica viva Orchesterkonzerts am 19. Januar 2018 wird ein neues Werk von Markus Hechtle uraufgeführt. Martina Seeber führte vorab ein Gespräch mit dem Komponisten über das Stück mit dem aktuellen Arbeitstitel „Lichtung“.
Foto: Markus Hechtle (c) Martin Hufner
Martina Seeber: Sprechen wir über Ihr neues Werk für das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Wo fangen wir an? Die Komposition ist fast beendet, aber einen Titel gibt es noch nicht.
Markus Hechtle: Ich bin noch nicht sicher, vielleicht wird es „Lichtung“ heißen.
Seeber: Es ist ein ganz neues Stück. Ist die Lichtung ein Bild? Eine lichte Stelle im dunklen Wald?
Hechtle: Es hat mehrere Bedeutungen. Erst mal die Lichtung als eine Stelle, an der es plötzlich heller wird, wo es kein Dickicht mehr gibt, wo es Licht wird. Und dann gleichzeitig die Frage der Belichtung. Wie werden Dinge farblich in Szene gesetzt? Aber es gibt tatsächlich auch etwas „auszulichten“. Ich arbeite mit Material aus meinem letzten Orchesterstück. Da gibt es eine zweistimmige Linie, die ich immer wieder neu in Szene setze, anders orchestriere oder belichte. Hier habe ich Teile genommen und noch einmal gelichtet.
Seeber: Die ohnehin nur zweistimmige Melodie wird also noch weiter ausgedünnt?
Hechtle: Ja, aber es bedeutet nicht nur Wegnehmen. Ich kann auch etwas hinzufügen, sodass eine größere Klarheit entsteht. Bei einer zweistimmigen Linie weiß man ja nie, in welcher harmonischen Situation man sich befindet. Weil erst der dritte Ton über die Harmonie entscheidet. Du hast zum Beispiel die Töne es und g, aber erst mit c wird es klar c-Moll.
Seeber: Sie arbeiten aber nicht in Kategorien wie Dur oder Moll.
Hechtle: Nein, das nicht. Ich würde eher von Farbwerten sprechen oder über die Innenspannung der Harmonik.
Seeber: Sie würden lieber über Farben reden?
Hechtle: Die Idee der Lichtung hat etwas damit zu tun. Aber es ist nicht leicht, darüber allgemein zu sprechen. Ich handele nicht systematisch gewisse Farben ab. Es ist alles intuitiv komponiert.
Seeber: Auch über intuitive Arbeit kann man sprechen.
Hechtle: Es geht mir um die Innenspannungen von Akkorden, um die Farbwerte. Das spielt in diesem Stück eine ganz große Rolle.
Diese zweistimmige Linie taucht mehrfach auf. Insgesamt sogar vier Mal, aber nicht vollständig, ich lassen immer wieder etwas weg. Das habe ich Faltungen genannt. Wenn Sie sich vorstellen, Sie haben ein DIN-A4-Blatt, und falten es und klappen die Faltungen an bestimmten Stellen auf. Dann fehlen Teile des Bildes. Man könnten natürlich auch von Löschungen sprechen, ich habe bestimmte Sachen gelöscht oder eben gelichtet. Nur dass an den Faltungsstellen keine Pausen entstehen, sondern dass die Dinge hintereinander erscheinen und dazwischen einfach Ausschnitte fehlen.
Seeber: Haben Sie bei den Faltungen konzeptuell gearbeitet? Dass Sie sich wie ein Konzeptkünstler überraschen lassen, was durch das Falten eines gegebenen Materials entsteht?
Hechtle: Nein, das ist ganz frei gemacht. Aber ich bin aber tatsächlich über das Falten auf die Idee gekommen. Ich habe mir vorgestellt, dass ich die alte Partitur wie eine Ziehharmonika zusammenfalte und dann nur an bestimmten Stellen aufziehe, sodass man sieht, was da eingefaltet wurde. Oder anders herum kann man sagen, es sind Dinge herausgelöscht worden. Da sind einmal vielleicht eineinhalb Takte gelöscht, woanders fehlen dann drei Takte.
Seeber: Ist das ein Spiel mit der Erinnerung der Hörer, oder ist das Fehlen beim Hören gar nicht wahrzunehmen?
Hechtle: Doch, es ist gut zu hören, und das muss auch so sein. Die Hörer werden natürlich nicht gleich am Anfang sagen können, was fehlt. Aber sie werden es hören, wenn später etwas in einer anderen Konstellation wiederkommt. Man wird im Lauf des Stücks immer wieder solche Erinnerungen an Vergangenes haben, ohne sie genau benennen zu können. Man wird merken, dass das Material eine andere Belichtung bekommen hat, eine andere Qualität, eine andere Farbe.
Seeber: Was für eine Gesamtform hat sich beim Falten und Lichten ergeben?
Hechtle: Eine seltsame Form. Das Stück beginnt mit so einer Faltung, diese erste Faltung dauert zwei Minuten. Dann kommt das Ganze, aber nur in den Streichern, alle anderen pausieren. Das ist ein großer Streicherblock, mitten im Stück. Die Bläser, das Schlagzeug und das Klavier schweigen. Das war eine der Kernideen zu diesem Werk. Dann gibt es wieder eine Faltung mit dem gesamten Orchester, und dann wieder mehr oder weniger das Ganze, aber anders inszeniert. Zu der zweistimmigen Melodie spielen die Bläser melodische Bewegungen, die dem Material einen ganz anderen Zug geben eine andere Gangart, eine neue Diktion.

Seeber: Arbeiten Sie häufig mit altem, eigenem Material?
Hechtle: Schon öfter. Bei der Arbeit an meinem letzten Orchesterstück habe ich gemerkt, dass ich Lust habe, an dem Material weiter zu arbeiten. Das Material selbst, die zweistimmige Melodie, ist aber uralt. Mein letztes Orchesterstück war das dritte meiner Freskotrilogie. Den ersten Teil habe ich 1993* geschrieben. Da arbeite ich schon mit dieser zweistimmigen Linie.
Seeber: Das heißt, die Melodie begleitet Sie ein halbes Leben.
Hechtle: Ich habe unheimlich viel investiert damals, bis ich sie hatte. Ich habe wahnsinnig lange daran gearbeitet, sehr intensiv. Aber ich habe eigentlich nicht geplant, damit öfter zu arbeiten.
Seeber: Warum ist sie so ergiebig?
Hechtle: Das hat mit der Beschaffenheit zu tun. Es ist eine zweistimmige Linie, die sich auf eine bestimmte Art und Weise verändert. Genauer kann ich das nicht erklären.
Seeber: Was für ein Verhältnis haben Sie zum Orchester? Schreiben Sie gern für die Besetzung?
Hechtle: Ich habe eigentlich immer Angst vor Orchestern, vor dieser Gruppe. Aber ich verspreche mir viel vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Die Musiker spielen sehr beseelt, sie können gestalten. Es herrscht leider oft das Missverständnis gegenüber Neuer Musik, dass die Töne starr gespielt werden müssen. Dass man kein Vibrato machen darf. Dass man nur technisch wiedergeben darf, was in den Noten steht. Aus diesen Missverständnissen heraus entstehen ganz absurde Situationen. Als ich mal mit einem Ensemble für Neue Musik gearbeitet habe, ist ein Musiker aufgestanden und hat gesagt, er möchte klarstellen, dass dieses Ensemble nicht mit Vibrato spielt. Das ist absurd. Klar, es gibt Komponisten, die kein Vibrato wollen. Aber oft wird schon im Voraus angenommen, dass zeitgenössische Musik besonders leblos und statisch zu spielen ist, obwohl nirgends als Spielanweisung dabei steht „leblos und statisch“. Ich glaube und hoffe, dass dieses Orchester das nicht tun wird, schließlich spielt es nicht nur viel Neue Musik, sondern auch alte. Und ich finde, es ist eines der besten.
Seeber: Beseelt und lebendig: die Hörer sollen in den fünfzehn Minuten also nicht nur Falten suchen?
Hechtle: Nein, es kommt ganz leicht, du kannst dich zurück lehnen. Du musst nicht viel arbeiten beim Hören, glaube ich [lacht]. Es kommt so ganz leicht über dich. Das ist ja auch ein Aspekt der Lichtung. Wenn man ein Bild vorstellt, ein Gemälde, wo in der Mitte so ein heller Fleck ist, wo die Sonne so schräg hinein scheint. Das hat etwas Leichtes, so eine lichte Stelle. Ich stelle mir vor, dass es unterschiedliche Qualitäten dieses besonderen Gefühls auch in meinem Stück gibt.
* Fresko. Eine Sehnsucht. für vier Gitarren 1993
Den Text von Martina Seeber finden Sie auch in der Sonderveröffentlichung der musica viva des Bayerischen Rundfunks welche der Neuen Musikzeitung von Dezember 2017 beiliegt. Weitere Informationen zum Orchesterkonzert am 19. Januar 2018.
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