Komponisten & Werke
Musik, geboren aus innerer Freiheit
Max Nyffeler mit einem Porträt des Komponisten Klaus Ospald.
Der Komponist Klaus Ospald
Der Musikjournalist Max Nyffeler hat ein Proträt des Komponisten Klaus Ospald entworfen. Ein Versuch, eines Ungreifbaren habhaft zu werden.
Es gibt sie noch, die Komponistinnen und Komponisten, die sich dem theoretisch bewehrten Fortschrittsanspruch der Avantgarde verweigern und deren Musik trotzdem vollkommen heutig wirkt. Einer von ihnen ist Klaus Ospald, geboren 1956 in Münster/Westfalen, ein einsamer Wolf in den weitläufigen Gefilden des Musikbetriebs. Er gehört weder zu den wortgewandten Selbstvermarktern, noch liegt ihm etwas an Macht und Einfluss. Er schreibt über seine Musik keine erklärenden Essays, er beteiligt sich nicht an öffentlichen Debatten. All das scheint ihn überhaupt nicht zu interessieren. Er möchte einfach komponieren, und zwar das, was er selbst für richtig und notwendig findet. Viele seiner Werke entstehen deshalb ohne Auftrag, manche warten noch auf ihr Erklingen. Das beunruhigt ihn nicht, denn er weiß: Eines Tages wird sich jemand die Partitur anschauen und zur Uraufführung bringen. Und tatsächlich finden sich immer wieder Interpreten mit einem feinen Gespür für das, was abseits des Mainstreams gedeiht, wie der Dirigent Peter Hirsch, der früh auf Ospald aufmerksam wurde, oder hellhörige Institutionen wie jetzt die Hans und Gertrud Zender-Stiftung mit dem Happy New Ears-Preis, die für seine Musik Öffentlichkeit schaffen. So ist im Lauf von über drei Jahrzehnten ein respektables Werk zustande gekommen, das auch ein entsprechendes Echo gefunden und einige Förderung erfahren hat.
Nach seinem Hochschulabschluss 1987 in Würzburg, wo er heute unterrichtet, und kurzzeitigen Studien bei Helmut Lachenmann erhielt Ospald den Förderpreis der Landeshauptstadt Stuttgart, den Staatspreis des Freistaats Bayern und den internationalen Premio Leonardo da Vinci. Die Folge war eine wachsende Zahl von Aufführungen, auch an Orten der etablierten Avantgarde wie Darmstadt und Donaueschingen oder bei der Münchener Biennale. Gekrönt wurde die Reihe der Fördermaßnahmen in den Jahren 2013/14 mit einem Aufenthalt als Composer in Residence am Wissenschaftskolleg zu Berlin.
Ospalds geht den Weg des freiheitsliebenden Individualisten, dem jeder Konformismus zuwider ist. Seine Freiheit sucht er nicht in der Außenwelt, im Kampf gegen die anderen, sondern er findet sie dort, wo er mit sich allein ist: am Schreibtisch, in der Einsamkeit des Komponierens. Deshalb lässt sich seine Musik auch nicht auf einen griffigen Nenner bringen. Sie ist das Paradebeispiel einer Kunst, die zwar mit beiden Beinen in der Welt steht, aber nur den eigenen Gesetzen gehorcht. Die Erzählungen in dieser Musik sind rein klanglicher Natur und reichen oft in die Bereiche des Fantastischen hineinreicht. Manches daran erinnert an die Gedankenflüge von Jean Paul und die grotesken Seiten der Romantik bei E.T.A. Hoffmann.

Literatur als Inspirationsquelle
Eine bedeutende Inspirationsquelle ist für Klaus Ospald die Literatur, doch Texte werden nicht im landläufigen Sinn „vertont“, sondern gehen auf vielfache Weise gefiltert in die Musik ein. Die menschliche Stimme wird in seinen Kompositionen oft wie eine Instrumentalfarbe behandelt, etwa im Streichquartett mit Frauenstimme von 2004. Das Werk bildet den Abschluss eines fünfteiligen Werkzyklus, der um die Gedankenwelt des experimentellen Wiener Schriftstellers Konrad Bayer (1932-1964) kreist. Unter anderem bezieht sich das Streichquartett auf ein Chanson von Bayer, doch dieses erscheint weder als Zitat noch in fragmentierter Form. Ospald interessierte daran etwas anderes: „Das Ausloten der semantisch aufgeladenen Inhalte, seine lyrisch-epische Aura, seine Direktheit und seine kabarettistischen Übertreibungen, die bis in das Giftig-Banale gehen.“
Für die sechs zwischen 1989 und 2004 entstandenen Werke des Konrad-Bayer-Zyklus hat Ospald den ironisch angehauchten Obertitel schöne Welt schöne Welt gewählt. Während sie noch deutlich Züge der Zerrissenheit und des Aufbegehrens tragen, so ändert sich in der folgenden Komposition der musikalische Charakter grundlegend. Auch jetzt kreist wieder ein Großteil seiner Werke um die Dichtung eines einzigen Autors. Diesmal ist es der Italiener Giacomo Leopardi (1798-1837), der Ospalds Interesse hervorruft. Der als work in progress angelegte Leopardi-Zyklus trägt den Titel La ginestra o il fiore del deserto („Der Ginster oder die Blume der Einöde“), nach einem Gedicht von Leopardi. Im Zentrum der Musik steht nun das Verhältnis des Menschen zur Natur, nicht sentimentalisch aus der Sicht des entfremdeten Städters verstanden, sondern als Ausdruck des Ergriffenseins vor der Erhabenheit und empfindungslosen Schönheit der Natur. Die Begegnung mit Leopardis Dichtung muss Ospald wie ein Blitz getroffen haben. Er erblickte in ihr, wie er 2013 in einem Vortrag im Wissenschaftskolleg zu Berlin erläuterte, „wunderbar kraftvolle, aber aussichtlos beschwörende Gesänge über die gleichgültige, alles hinwegfegende Schönheit der Natur, ohne idealische Ausflucht, mit einer tiefen Abscheu vor dem anthropozentrischen Weltbild, kein Faustisches, kein Lord Byron.“ In Leopardis Naturlyrik erkennt Ospald das Bild einer ewigen Metamorphose: „Das plötzliche Erscheinen und Verschwinden von Leben in umfassendem Sinn“ – ein Prozess, in dem das Leben sich immer wieder neu gebiert. Die Werke des Leopardi-Zyklus sind philosophische Reflexionen in Tönen, sparsam in der Gestik, aber hoch konzentriert, jeder Klang ein Ereignis.
Manchmal stellen sich auch Assoziationen an den späten Nono ein, so etwa im Ensemblestück Cosí, dell’uomo ignara… für Ensemble mit einer gekonnt und sehr diskret eingesetzten Live-Elektronik. Sein Titel besteht aus den Anfangsworten eines Textfragments, das einen Grundgedanken von Leopardis Lyrik – und Ospalds Musik – auf den Punkt bringt: „So also, ohne den Menschen zu kennen, die Zeiten, die er Altertum nennt, die Geschlechterfolge der Ahnen und der Erben, bleibt Natur immer jung.“ Das Werk ist ein eindrucksvolles Beispiel für Ospalds Verfahren, Textinhalte in Klang umzusetzen. Die Musik atmet den Geist der Dichtung, ohne dass ein Wort davon erklingt.
Den vollständigen Beitrag finden Sie in der Sonderveröffentlichung der musica viva des Bayerischen Rundfunks, welche der Neuen Musikzeitung vom Oktober 2019 beiliegt.
Weitere Informationen zum Konzert am 22. November 2019
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