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RIHM SINGEN - Anna Prohaska über Rihms "Requiem-Strophen"

14.02.17 | Wolfgang Schaufler

Die Sopranistinnen Mojca Erdmann, Anna Prohaska sowie der Bariton Hanno Müller-Brachmann bestreiten die Uraufführung von Wolfgang Rihms Requiem-Strophen im Rahmen der musica viva am 30. März 2017. Wolfgang Schaufler sprach mit Anna Proshaska über ihre erste Begegnung mit dem Werk und über die besonderen Anforderungen, die es an die Interpreten stellt.

Wolfgang Schaufler: Frau Prohaska, wenn Sie Musik von Wolfgang Rihm singen, bewegt sich Ihre Stimme mitunter in stratosphärischen, also sehr hohen Regionen. Man könnte sagen, in der „Luft von anderen Planeten“. Empfinden Sie es als eine Art Frischluftzufuhr, wenn Sie Musik von Rihm zum Studium bekommen?

Anna Prohaska: Frischluft auf jeden Fall in dem Sinne, dass es bisher fast immer komplett neue Stücke waren, die ich gesungen habe und die Wolfgang Rihm zum Teil wirklich für mich geschrieben hat. Das ist ein unglaublich tolles Erlebnis, die Partitur zum ersten Mal aufzumachen, da ist man natürlich sehr aufgeregt und freut sich. Musikalisch gesehen würde ich aber sagen, dass Rihms Musik immer stark in der Tradition gestanden hat. Er hat seine eigene Klangsprache, seine eigene Brillanz in seiner Kreativität, aber er steht wirklich mit beiden Beinen fest in der Musiktradition. Das finde ich spannend bei ihm, denn man muss ja nicht immer das Rad neu erfinden, wenn man ein neues Stück schreibt.

Schaufler: Wie liegt Rihm für ihre Stimme? Kann man das verallgemeinern?

Prohaska: Rihm schreibt immer für Individuen, für den Menschen, für den er es komponiert, der die Uraufführung singt. Er kennt die Extremregionen dieser jeweiligen Stimme, aber er kennt gleichzeitig auch, wo sich diese Stimme am meisten wohlfühlt. Ich werde zum Beispiel oft als Koloratursopran bezeichnet, was ich aber eigentlich nicht bin. Ich bin ein lyrischer Sopran mit Koloratur. Ich habe nie Zerbinetta gesungen, ich habe nie Königin der Nacht gesungen. Ich habe die Töne, aber ich wohne nicht da oben – und das weiß Rihm. Deswegen sind diese „Requiem-Strophen“ mit den beiden Sopranen, ich singe den 2. Sopran, so genial, weil meine Partie zum Teil sehr tief ist. Sie geht vom g dann bis zum dreigestrichenen d hinauf, aber trotzdem ist da immer so eine wunderbare Balance, dass die Stimme sich zwischendrin immer wieder in den niederen Regionen ausruhen darf und nicht immer da oben klebt im ewigen Eis.

Schaufler: Was ist aus Ihrer Sicht die Motivation für Rihm, sich in solchen Höhen zu bewegen? Er hat für Sie auch ein Stück geschrieben, „Mnemosyne“, das liegt zum Teil sehr hoch. Ich spüre da immer einen Moment von Utopie, wenn ein Sopran in die allerhöchsten Lagen sich hinauf katapultiert. Wie ist das für Sie als Interpretin?

Prohaska: Zunächst muss man sagen, dass man als Sänger da nicht so philosophisch herangeht, sondern auch erst einmal technisch und physisch. Das ist wirklich wie eine Art Drahtseilakt. Man kommt sich manchmal vor wie ein Voltigierpferd, also es geht wirklich darum, dass man es schafft, diese und jene Hürde zu überspringen und dabei besonders elegant und musikalisch zu klingen, ohne dass es wie schwere Arbeit klingt – und das ist bei Rihms Musik gar nicht mal so schwer, weil er so wunderbare Kantilenen schreibt. Denn obwohl die Töne manchmal extrem auseinander liegen, ja sich manchmal über zwei Oktaven erstrecken, verliert man nie den Faden. Man wird oft von den anderen Instrumenten geführt und gelenkt und begleitet. Rihm komponiert da einen musikalischen Ariadne-Faden. Rihm hat für mich und das Gewandhausorchester auch „Samothrake“ geschrieben und da habe ich das sozusagen in groß nochmal erfahren dürfen, wie das bei Rihm ist, von Klangmassen umgeben zu sein. Diese sind so zurückhaltend komponiert, dass sie einen nicht überdecken. Auch hier fühlte ich mich unterstützt und begleitet. Bei Rihm ist der Gesang immer in die musikalische Textur eingebettet und nie nur Virtuosenfutter.

Schaufler: Man kann dies auch bei seiner Oper „Dionysos“ sehen, dass er den Sopranen immer wieder aus dem Orchester heraus einen Ton gibt, damit ein Gemeinsames entsteht und damit man als Solistin keinesfalls isoliert ist.

Prohaska: Ja, und das hilft natürlich auch wahnsinnig bei der Intonation. Mojca Erdmann, die den 1. Sopran singt, hat ja ein absolutes Gehör. Das bewundere ich natürlich wahnsinnig, weil das macht das Lernen um einiges leichter. Ich muss mich da mit meinem relativen Gehör etwas mehr am Orchester orientieren.

Schaufler: Als Beethoven die „Missa solemnis“ schrieb, hat man ihm vorgeworfen, dass er gegen die Stimme schreibe, auch im Sinne, dass im Scheitern ein Reiz liege. Es gibt Stücke von Rihm, die heißen „Über die Linie“. Geht er manchmal über die Grenzen dessen hinaus, was sängerisch möglich ist, als bewusstes Stilmittel?

Prohaska: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass er das versucht. Wenn man aber zum Beispiel eine Sängerin wie Mojca Erdmann hat, fällt das dann gar nicht auf, dass da solche Grenzen sind, weil sie total über allem schwebt wie bei „Proserpina“ oder bei der großen Partie im „Dionysos“. Ich bewundere es wahnsinnig, was sie da macht. Rihm wusste außerdem vorher von ihrem Können und von ihren Stärken und dass er das so ausreizen konnte.

Mojca Erdmann (c) Felix Bröde
Mojca Erdmann (c) Felix Bröde
Anna Prohaska (c) Harald Hoffmann/DG
Anna Prohaska (c) Harald Hoffmann/DG
Hanno Mueller-Brachmann (c) Monika Ritterhaus
Hanno Mueller-Brachmann (c) Monika Ritterhaus

Schaufler: Was gibt es noch vor den ersten Proben zur Musik der „Requiem-Strophen“ zu sagen?

Prohaska: Ich habe mich sofort in diese wunderbaren Lacrimosa-Teile verliebt, einer auf Latein, einer auf Deutsch. Da gibt es einfach so herzzerreißende Intervalle und ich freue mich einfach darauf, mit Mojca Erdmann gemeinsam dann auch Klangfarben zu finden. Darauf, dass wir dann vielleicht auch versuchen, einmal ganz gleich zu klingen oder ganz fahl oder mit Vibrato. Je nachdem. Dass man einmal eine Art Spiegelbild sucht und probiert und dann wieder eine vollkommen andere Linie. Diese Dinge kann man nur in der Probenphase erkennen und auch wirklich begreifen, wie es dann wird.

Schaufler: Das klingt fast ein bisschen nach der c-Moll-Messe von Mozart.

Prohaska: Ja, so ein bisschen, das kann man sich schon vorstellen. Aber ein bisschen extremer und vielleicht auch ein bisschen romantischer. Hanno Müller-Brachmann, der Bariton, hat diese Sonette, die er vollkommen alleine singt.

Das finde ich eine sehr schöne Idee, da ist so eine Symmetrie, die männliche Stimme in der Mitte, von den weiblichen Stimmen wie in einem Triptychon umgeben.

 

Dieser Text ist ein Ausschnitt aus dem Interview von Wolfgang Schaufler mit Anna Prohaska. Das gesamte Interview finden Sie in der Sonderveröffentlichung der musica viva des Bayerischen Rundfunks, welche der Neuen Musikzeitung von Februar 2017 beiliegt.

Weitere Informationen zum Konzert am 30./31.3.2017 finden Sie auf www.br-musica-viva.de.


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