Komponisten & Werke

RIHM UND GOEBBELS über Markus Hechtle

05.01.18 | Wolfgang Rihm und Heiner Goebbels

Am 19.1.2018 wird im Rahmen des musica viva Orchesterkonzerts das neue Werk „Lichtungen“ von Markus Hechtle uraufgeführt. Wolfgang Rihm und Heiner Goebbels haben jeweils einen Text über den Komponisten verfasst.

Foto: Markus Hechtle (c) Zeynep Gedizlioglu

Wolfgang Rihm (c) Astrid Ackermann

Wolfgang Rihm über Markus Hechtle

Markus ist ein Künstler, den ich wegen seines Eigensinns schätze, liebe, bewundere. Er hat eine derartig existentielle Verbindung zum Komponieren, dass sich dies bei ihm auch ins Somatische ausdrückt. Er gehört nicht zu den Komponisten, die irgendwelche Strategien abfackeln können und dann zu Ergebnissen gelangen, sondern bei ihm geht es immer an die Substanz. Ich treffe ihn manchmal, und dann merke ich, er ist total fertig, aber nicht weil er etwas gemacht hätte, sondern weil er noch nicht machen kann. Er muss warten, er muss warten bis etwas kommt. Und manchmal kommt es ganz schnell, und manchmal kommt es nicht. Er ist ein Mensch, der mit seinem Eigensinn immer wieder ganz alleine sein muss. Und deswegen sind die Dinge, die er macht, auf eine schöne Art unvergleichbar. Dieses Stück „Kleines Licht“, das er zu meinem Geburtstag gemacht hat und das ich neulich schon in einer Probe gehört habe, ist wieder ganz typisch für ihn. Mit ganz wenigen Mitteln, die er auswählt – die Wahl ist ja ein ganz wichtiger Akt im Kompositionsprozess –, setzt er eine Klanglichkeit, die er dann an eine fast rituelle Vorwärtsbewegung bindet, bei der er eigentlich wenig verändert. Aber wenn dann doch eine Veränderung geschieht, ist dies – ich möchte mal sagen – eine Katastrophe oder ein Erlebnis, denn man spürt die Bewegung, die Wendung sofort innerlich. Das ist ganz eigen bei ihm. Ich hoffe, dass er diese Eigenart noch lange aufrechthalten kann, denn – wie gesagt – ich spüre, dass er einer von denen ist, die das wirklich auch somatisch berührt. Auch in seiner Art, über Musik zu sprechen oder zu schreiben, hat er eine ganz spezifische Begabung. Auch da hat er seinen „Eigensinn“ – das ist immer der entscheidende Begriff, der mir einfällt, wenn ich an ihn denke, auch das Eigenwillige. Seine Examensarbeit ging über Mathias Spahlingers Orchesterwerk „passage/paysage“. Das ist eine grandiose Arbeit, da ging es schon los mit seiner Artikulationsweise, sich in einer Art über Musik zu äußern, die eben nicht in irgendwelche Normenstanzen passt. Wie in seinen Texten klärt er auch in seiner  Musik immer etwas. Also er „erklärt“ nicht, sondern er „klärt“ etwas. Ich bin sehr gespannt, was er noch weiter macht.

(Wolfgang Rihm, 2012)

Heiner Goebbels (c) Ricordi Berlin

Heiner Goebbels über Markus Hechtle

Seit mehr als fünfzehn Jahren ist mir Markus Hechtle nun nah und dennoch fremd. Zunächst, Mitte der neunziger Jahre – im Rahmen einer Vertretungsprofessur, die ich an der Karlsruher Musikhochschule inne hatte, – als aufmüpfiger, streitbarer, ungemein anspruchsvoller, um nicht zu sagen „ansprüchlicher“ Student, meist allem skeptisch gegenüber, gnadenlos kritisch, ein großartig schwieriger und der Sache immer auf den Grund gehender Lernender auf Augenhöhe, von dem man dadurch, dass er einem nichts schenkte, selbst lernen konnte.

Dann Ende der neunziger Jahre, als ich ihn zu einer meiner Musiktheaterarbeiten hinzuzog – als LISA-Operateur, das heißt Live-Sampling-Musiker, an einem ihm doch eigentlich so völlig fremden Keyboard bei dem Stück „Max Black“. Als Klangingenieur und treuer Partner des Schauspielers Andre Wilms, dessen szenische Geräusche er in Musik verwandelte, aus dessen Handlungen er den Soundtrack baute zu einer Kettenreaktion aus Gedanken, Sätzen, Bildern, Feuer und Sound. Auch hier war er sehr genau, völlig offen, gewissenhaft, neugierig den anderen Medien und dem Theater gegenüber. Mit unveränderter Verantwortlichkeit und ohne jeden Anflug von Routine hat er selbst nach über zehn Jahren jede einzelne der zirka hundertfünfundzwanzig Aufführungen weltweit in ganz Europa und von Neuseeland bis Kanada musikalisch betreut, vor den  Aufführungen nochmal geraucht, während derselben nervös geschwitzt und danach nicht ohne Erleichterung und Stolz gefeiert.

Und, last but not least, ist mir Markus längst als Komponistenkollege nah, zu dem er für mich immer mehr wurde, als Partner, der nur Schwarzes und Weißes kennt, alles entweder begeistert großartig findet oder als schwächelnd verachtet, und der es sich nicht leicht macht: Man könnte fast sagen, er steht einem reibungslosen Ablauf seiner Arbeit immer selbst am meisten im Weg, voller Skrupel und Selbstzweifel. Hier – wie in seinen reflektierten Texten – überrascht er immer wieder mit radikalen Statements. Heftig ist mir immer noch ein Brief in Erinnerung, in dem mir deutlich klar wurde, wie anders er an die Sache herangeht als die meisten Komponisten. Er schrieb mir damals sinngemäß: „Ich bin mit den Klängen nicht befreundet.“

Daraus, und nur aus dieser starken Alternative zur selbstverliebten Distanzlosigkeit in das eigene Material kann Neues entstehen, und das habe ich bei ihm immer wieder – im  Konzertsaal und beim Hören der Aufnahmen gefunden: „Still, Vertigo – vor dem Falle“ und vor allem die bedrückende Insistenz auf dem ständig sich variierenden  Klang zahlloser Claves in „Leeres Viertel“, seinem  Stück im  Rahmen des „Into“-Projekts für das Ensemble Modern nach einem längeren Dubai-Aufenthalt. Das vergesse ich nicht. Das vergesse ich ihm nicht.

Als letztes und vielleicht für mich auf entspannte Weise das bisher stärkste: das Orchesterstück „Fenster zur See“, so wunderbar ausgehört. Ich bin gespannt, wie die nächste Erfahrung mit ihm klingt, und mir nur in Einem sicher: Sie wird wieder völlig anders.

(Heiner Goebbels, 2012)

Diese Texte finden Sie in der Sonderveröffentlichung der musica viva des Bayerischen Rundfunks, welche der Neuen Musikzeitung von Dezember 2017 beiliegt. 

Weitere Informationen zum Orchesterkonzert am 19.1.2018 finden Sie auf www.br-musica-viva.de.


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