Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit Peter Rundel
Freitag, 2. Oktober 2020 | Herkulessaal der Residenz München | 18.00 Uhr

Programm
Yann Robin [*1974]
Art of Metal
für Kontrabassklarinette und Ensemble [2007]
Münchner Erstaufführung
Morton Feldman [1926–1987]
The Viola in My Life 2
für Viola solo und 6 Instrumente [1970]
Liza Lim [*1966]
Extinction Events and Dawn Chorus
für Ensemble [2018]
Mitwirkende
Theo Nabicht, Kontrabassklarinette
Antoine Tamestit, Viola
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Peter Rundel, Leitung
Alain Billard musste seine Mitwirkung bei Yann Robins Art of Metal aufgrund der bestehenden Einreisebedingungen leider absagen. Anstelle seiner wird Theo Nabicht das Kontrabassklarinetten-Solo übernehmen.
Zum Programm
Reduktion oder Überfluss? – Während der New Yorker Morton Feldman in seiner Musik bereit war, selbst den geringsten Ballast über Bord zu werfen, fordert der in Frankreich als Enfant terrible gefeierte Yann Robin von allem mehr. Wenn er seinen Solisten in die Kontrabassklarinette singen und vor allem schreien lässt, werden Energien geweckt, die man sonst eher im Heavy Metal vermutet. Art of Metal ist eine brachiale und zugleich subtil gestaltete Klangorgie. Im Mittelpunkt steht das Potential der nicht aus Holz, sondern aus Metall gefertigten Kontrabassklarinette von Theo Nabicht. Auch die Australierin Liza Lim ist eine Klangforscherin, die sich tief ins Material gräbt. Zugleich wirft sie mit ihrer Musik existentielle Fragen auf. Ihr Ensemblezyklus Extinction Events and Dawn Chorus handelt von den Folgen des Überflusses und der Ausbeutung der Erde.
Werkinformationen
Töne und Geräusche in üppigen Mischungen
Fast drei Meter lang ist das Rohr der Kontrabassklarinette. Das selten eingesetzte, tiefste Mitglied der Klarinettenfamilie besetzt aber nicht nur extreme, sonst ungenutzte Tiefenregionen – ihr Tonumfang reicht auch weit hinauf in die Höhe. Was den 1974 geborenen Komponisten Yann Robin, eines der Enfant terrible der französischen Szene, jedoch vor allem dazu verleitete, dem Instrument einen ganzen Konzert-Zyklus zu widmen, dessen erster Teil 2007 entstand, ist ihr unerforschtes Potential. Gemeinsam mit dem Virtuosen Alain Billard unternahm er eine Expedition ins Unbekannte. Billards Instrument ist aus Metall, nicht aus Holz gefertigt, was es leichter ansprechen lässt, beweglicher macht und dem Zyklus seinen Titel verlieh. In unserem Konzert übernimmt Theo Nabicht diesen Part.
In Art of Metal rührt Yann Robin an Grenzen. Wie eine große Raubkatze jagt die Klarinette in diesem ersten Teil der„Kunst des Metalls“ durch eine Landschaft, die sie bedroht, bedrängt, verschluckt, zeitweise aber auch zart umhüllt. Perkussive Slaps erinnern an Sounds eines E-Basses, fragile Mehrklänge an die vielfarbigen Naturgeräusche eines unergründlichen Urwalds. Robins Konzert ist eine ekstatische Klangorgie, in der Töne und Geräusche üppige Mischungen eingehen. Für den Kontrabassklarinettisten bedeutet dies: „Heute, nach Art of Metal, soll ich ständig ins Instrument schreien, Klänge aufspalten und verschmelzen lassen.“ Das Bild der Kontrabassklarinette hat seine Trilogie nachhaltig verändert. Robins neues Vokabular und seine Lust am Exzess haben Schule gemacht.
Melos und durchbrochene Melodien
„Das Format dieser Komposition ist recht einfach“, kommentierte Morton Feldman seinen vierteiligen Zyklus für die damals junge Solistin Karen Phillips, in dem er die Bratsche zunächst mit kleinen Ensembleformationen, dann mit Klavier und schließlich im vierten Teil mit einem Orchester kombinierte. The Viola in My Life 2 ist tatsächlich ein bestechend schlichtes Werk. Nur ganz selten gibt es Momente, in denen sich zwei akustische Ereignisse an den Rändern überlagern. Morton Feldman gibt den Gesten Raum, er lässt sie atmen. Auch das einfachste Material, etwa ein kurzes aber keineswegs nebensächliches Schnarren der Snaredrum oder ein Triller der Celesta, wird ebenso achtsam in die Stille gesetzt wie die überraschend langen Melodiefragmente der Viola.
Hatte sich Morton Feldman bis dahin vor allem der Auflösung von Zusammenhängen verschrieben und seine Musik von rhythmischen wie melodischen Gestaltbildungen zu befreien versucht, überrascht er hier mit einem Melos, als seien Singen, Erzählen und sogar Dialogisieren die größten Selbstverständlichkeiten. Natürlich bewegt er sich dabei nicht in Wagnerschen oder Mozartschen Dimensionen, sondern immer noch in der für ihn charakteristischen, extremen Reduktion und in äußerst losen Gestaltbildungen. Dennoch leuchtet das ungewohnte Melos in der Viola auf. Und auch im Ensemble entsteht in der scheinbar losen Abfolge kurzer Gesten und im ständigen Wechsel zwischen den Instrumenten eine durchbrochene Melodie. Die Viola bewegt sich in einem zart geknüpften Netzwerk. Morton Feldman selbst beschrieb die Verbindung loser Elemente aus der Perspektive des Zeitgestalters. Was er geschaffen habe, sei eine „rhythmische Folge von Ereignissen“.
„Wie die Welt selbst“
Der Titel dieses Ensemblewerks ist wörtlich zu nehmen. Es handelt vom Ende des Anthropozäns. Der wehmütige Beginn erinnert an ein Naturidyll. Blechbläser lassen animalische Seufzer in die Tiefe sinken. Wenig später setzt das Klavier wie ein Bote der menschlichen Zivilisation Erinnerungen an Leos Janáceks Zyklus Auf verwachsenem Pfade frei. Liza Lim lässt Relikte der Vergangenheit kreisen und schlägt den Bogen zu den Ozeanen der Gegenwart: „Ich dachte an die Zeit. Sämtliches Plastik, das wir je produziert haben, zirkuliert irgendwo, vielleicht in kleinsten Partikeln“.
Extinction Events and Dawn Chorus ist eine Musik der Wiederholungen und ewigen Strudel, in denen nie etwas verschwindet. Allerdings wohnt dieser Endzeitmusik eine unerwartete Schönheit inne. Der Partitur sind zwei Zitate vorangestellt, die verraten, welche Gedanken und Emotionen die Arbeit begleitet haben. Das erste – „Wie hielte Schönheit stand vor solcher Wut?“ – stammt von William Shakespeare. Das zweite von Timothy Morton handelt von der Poesie der Erinnerung: „Jegliche ästhetische Spur, jeder Fußabdruck eines Objekts, funkelt vor Abwesenheit. Sinnliche Dinge sind Elegien auf das Verschwinden der Objekte.“ Es sind diese scheinbaren Unvereinbarkeiten, die das aus fünf, sehr unterschiedlich besetzten und zum Teil theatralisch inszenierten Sätzen bestehende Ensemblewerk prägen, das sich, wie Liza Lim kommentiert, „im Magnetfeld unterschiedlicher Situationen“ bewegt, so verwirrend, komplex und widersprüchlich „wie die Welt selbst“. Die Musik endet an der unteren Grenze des menschlichen Hörbereichs mit dem Dawn Chorus von Fischen, die ein bedrohtes australisches Korallenriff bewohnen. Liza Lim versucht ein Leben jenseits des menschlichen Horizonts anzudeuten.
Proben- und Konzertfotos






























