Francesca Verunelli über The Narrow Corner

„Der schmale Winkel ist eine Erzählperspektive, eine Art paradoxer Perspektive auf eine Szene. Aus dieser Perspektive entwickelt sich eine elliptische Erzählung, deren Bestandteile sich konstant verändern – dem Winkel entsprechend, den die Erzählperspektive nach und nach schafft. Diese Metamorphose liegt jedem dieser fünf kurzen Momente zugrunde, die streng genommen keine „Movements“ (englisch für: Sätze), sondern vielmehr „in Bewegung“ („in movement“) sind. Dem Zuhörer eröffnen sich während der akustischen Entdeckungsreise durch die fünfmalige Wiederholung fünf unterschiedliche Ansichten ein und desselben Ortes. Von Mal zu Mal verhindert die Erzählperspektive – ein schmaler Winkel – jedoch eine eindeutige Interpretation und fordert die Phantasie des Zuhörers auf unterschiedliche Weise. Die Form ist letztlich nicht linear, sondern eher elliptisch; sie bietet unterschiedliche zeitliche Perspektiven und suggeriert durch die Beständigkeit eines Ortes: Unbeständigkeit.“

Francesca Verunelli (2015)

 

Philippe Manoury über Synapse

“Eine Synapse stellt einen Kontaktbereich dar, in dem ein chemisches Signal zwischen zwei Neuronen übermittelt wird. Ohne die Analogie mit diesem Ablauf näher bestimmen zu wollen, würde ich sagen, dass dem gesamten Aufbau dieser Komposition für Violine und Orchester ein ähnliches Prinzip zugrunde liegt. Die gesamte Struktur der Motive und Themen ist in 18 kleine Formeln aufgeteilt, die den musikalischen Diskurs kontinuierlich durchlaufen. Diese Formeln folgen den Regeln einer präzisen Grammatik und reihen sich in einer streng kontrollierten Ordnung aneinander. So entsteht aus zwei Sequenzen eine dritte Sequenz, welche im Zusammenspiel mit der vorhergehenden eine vierte hervorbringt usw. Es findet also eine fortlaufende Informationsweitergabe statt, von einer Sequenz zur nächsten, wobei die Sequenzen in immer kleineren Blöcken zusammengestellt werden. Der erste Block enthält zehn Sequenzen, bringt neun weitere hervor, aus denen die acht folgenden entstehen, und so fort bis hin zu dem kleinsten Block, der nur noch eine Sequenz enthält. In dieser Sequenz sind alle Informationen aus den vorhergehenden in einem sehr dichten und konzentrierten Klangbild zusammengefasst. Es erinnert entfernt an die Polyphonie der fünf übereinanderliegenden Themen im Finale von Mozarts Jupiter-Symphonie oder auch an die geniale Idee des Aleph von Jorge-Luis Borges.”

Philippe Manoury (2010)

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