wir fangen neu an!
das neue, aktualisierte Programm der musica viva jubiläumsSaison 2020/2021

Liebe Freundinnen, liebe Freunde der musica viva,
die COVID-19-Pandemie wird wohl als epochale Zäsur nicht nur in die allgemeine Geschichtsschreibung, sondern auch in die der Musikgeschichte eingehen. Der Blick zurück findet viele Kompositionen, die im Kontext von Pandemien, der Pest, der Cholera, im 20. Jahrhundert auch von HIV entstanden sind. Überraschend ist aber auch, in welch geringem Ausmaß Gesundheitskrisen der Vergangenheit über die bloße Erwähnung hinaus zum Thema der erzählten Musikgeschichte geworden sind. Das mag auch damit zusammenhängen, dass Seuchen als Dauerphänomen zum selbstverständlichen Bild europäischer Gesellschaften gehört haben. Die gegenwärtigen Schutz- und Vorsorgemaßnahmen in unserem öffentlichen Leben sollen Vertrauen stiften und den Ausbruch jener historischen Krisen verhindern, über die wir aus geschichtlichen Zeugnissen durchaus gut informiert sind und deren Kenntnis uns helfen kann, mit der gegenwärtigen Situation souverän umzugehen – zum Guten unseres gesellschaftlichen Lebens, zum Guten der Kunst und Kultur.
Schutzmaßnahmen wie das Maskentragen und die Abstandsgebote treffen gleichwohl ins Mark der performativen Künste. Denn diese sind Ensemblekünste. Allen voran die Kunst der Musik, bei der Musikerinnen und Musiker sich zusammenschließen, um aus hochvirtuoser Gestaltung von Zeit Musik vor uns Hörern entstehen zu lassen. Deshalb sitzen und stehen die Performer dicht beieinander, um dieses Präzisionsfeuerwerk an Zeitgestalten zu zünden. Jedes Ensemblemitglied ist gleichermaßen sendendes und empfangendes Zentrum. „Ensemble“ kommt aus dem Französischen und enthält die lateinischen Wörter in simul, das „zugleich, gleichzeitig, miteinander“ bedeutet, und similis, das für „einander ähnlich sein“ steht, wie zum Beispiel: ein gemeinsames Interesse haben. Musik in ihrem Kern verstanden, ist eine Ensemblekunst der Simultaneität und Synchronizität. Musiker sind Simultaneitäts- und Synchronizitätsvirtuosen. Das macht das musikalische Ensemble so verletzlich gegenüber den sich aus der Pandemie ergebenden Distanzierungsgeboten: Man muss vermeiden, dass das Ensemble atomisiert wird.
Das großartige Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks stellt sich mit der ganzen Energie seiner Musikerinnen und Musiker der Herausforderung, bei aller Achtung des Abstandgebotes Distanzen gleich welcher Art künstlerisch zu überwinden und die Einschränkungen, unter denen die Konzerte stattfinden müssen, vergessen zu machen. Wie im Auditorium so sind auch auf der Bühne Abstände von 1,50 Meter und mehr einzuhalten. Im Herkulessaal der Residenz und im Prinzregententheater dürfen wir, je nach Besetzung und Aufstellung, mit rund 25 Musikern auf der Bühne spielen und im Saal 200 Besucher willkommen heißen. Die allgemeine Konzertdauer beläuft sich auf etwa 60 bis 90 Minuten, ohne Konzertpause. Damit ist das definiert, was man ein „Konzertformat“ nennt.
Für die musica viva Konzertsaison 2020/21 haben wir unsere Programme auf dieses Format hin neu gestaltet.

02.10.2020 Herkulessaal der Residenz
Aus dem ursprünglichen Oktober-Programm am 2. Oktober sind zwei Konzerte am selben Tag aber mit verschiedenen Programmen entstanden: Das erste Konzert mit dem Symphopnieorchester des Bayerischen Rundfunks beginnt um 18 Uhr, das zweite um 21 Uhr. Im ersten Konzert folgt auf das sehr wilde Art of Metal von Yann Robin mit dem Kontrabassklarinettisten Alain Billard als Solisten Morton Feldmans kontemplatives The Viola in my Life, gespielt von Antoine Tamestit und 6 Musiker*innen des Symphonieorchesters. Das Finale bildet Extinction Events and Dawn Chorus der Australierin Liza Lim, ein 40-minütiges Ensemblestück, das unser Umweltverhalten thematisiert.

Im zweiten Konzert um 21 Uhr ist Antoine Tamestit ein zweites Mal zu hören: mit dem nostalgisch schönen Naturale von Luciano Berio für Viola solo, im Wechselgesang mit der akusmatischen Stimme eines sizilianischen Apfelsinnenverkäufers und begleitet von vereinzelten Schlagzeugklängen. Berios Naturale wird umrahmt von zwei sehr kräftigen Ensemblewerken von Giacinto Scelsi und Iannis Xenakis. Beide Oktober-Konzerte werden von Peter Rundel geleitet.

06.11.2020 Herkulessaal der Residenz
Auch das ursprüngliche November-Programm am 6. November wird durch zwei Konzerte mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks am selben Tag mit zwei verschiedenen Programmen ersetzt.
Im ersten Konzert um 18 Uhr hören wir ein in diesem Jahr entstandenes Werk für Schlagzeug solo und Ensemble von Isabel Mundry mit dem Titel Noli me tangere. Solist ist der Perkussionist des Ensemble Musikfabrik und Duopartner von Pierre-Laurent Aimard: Dirk Rothbrust. Ilya Gringolts hebt anschließend Bernhard Langs Violinkonzert REDUX aus der Taufe, in einer Fassung für Ensemble, die der Komponist für die Münchner Uraufführung konzipiert hat.

Um 21 Uhr kommt dann in einem zweiten Konzert ein Werk des in München lebenden Minas Borboudakis zur Aufführung: Constellation für 4 Hörner, Pauken, Schlagzeug und Streicher. Frank Reinecke präsentiert Karlheinz Stockhausens Komposition In Freundschaft für ein Soloinstrument in einer Fassung für Kontrabass. Den Abend beschließt der von den Musiker*innen des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks gespielte Zyklus Vortex Temporum von Gerard Grisey, der sich in seinen drei Sätzen mit der Zeit der Menschen, ihrer Sprache und Atmung, mit der Zeit der Walfische, der spektralen Zeit und den Rhythmen des Schlafes beschäftigt, schließlich im dritten Satz mit der Zeit der Vögel und der extrem zusammengezogenen Zeit, in der die Gestalten ihren Umriss verlieren. Beide November-Konzerte werden von Johannes Kalitzke geleitet.
Mit der Aufführung von Vortex Temporum im November entfällt die ursprünglich für April 2021 vorgesehene Aufführung. Alle für Oktober und November ursprünglich annoncierten Uraufführungen werden, so weit möglich, in den kommenden Spielzeiten nachgeholt.
Wir hoffen sehr, dass wir in der zweiten Hälfte der Spielzeit 2020/21 an den ursprünglich annoncierten Programmen festhalten können, entwickeln aber auch hierfür bereits mögliche Alternativprogramme und setzen Sie rechtzeitig zum weiteren Fortgang der Spielzeit in Kenntnis.
Für alle musica viva-Konzerte im September, Oktober und November werden Tickets zum Einheitspreis von 15 Euro pro Veranstaltung angeboten.
Wir danken Ihnen für Ihre Geduld, die wir für die Neukonzeption der Veranstaltungen in Anspruch nehmen mussten. Und wir hoffen, dass auch die neuen Programme Ihr geschätztes Interesse wecken und wir Sie bei den kommenden musica viva-Veranstaltungen mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks begrüßen können.
Mit allen guten Wünschen,
Ihr Winrich Hopp
Künstlerischer Leiter der musica viva des Bayerischen Rundfunks