Komponisten & Werke
"Zelluläre Automaten"
Bernhard Langs Konzert Monadologie XXXIX gehört zur Werkserie der Monadologien über Material aus der Musikgeschichte. Viele Kompositionen dieser Serie sind mit Hilfe von "zellulären Automaten", also mit Algorithmen entstanden. Martina Seeber sprach mit dem Österreicher über die Entstehung seines Werks, das am 27. März 2020 bei der musica viva uraufgeführt wird.
Bernhard Lang © Harald Hoffmann
Gibt es auch hier einen zellulären Automaten, der dann womöglich sagt: Was kümmert mich deine elende Geige, wenn der Algorithmus zu mir spricht?
Auch was die zellulären Automaten produzieren, muss nachkomponiert werden. Es ist ja nicht so, dass man den Text aus dem Computer einfach übernimmt. Man muss Ton für Ton mit der Hand nachkomponieren. Das ist sogar mühsamer, als mit der Hand zu komponieren. Natürlich hat dann die Struktur etwas Unmenschliches, aber man muss nachkomponieren, sonst ist das Stück unspielbar. In diesem Fall spielt dieser technische Prozess aber keine Rolle. Seit den späten 20er-Nummern der Serie brauche ich keine Algorithmen mehr.
Warum brauchen Sie die Automaten nicht mehr?
Ich habe die Prozesse verinnerlicht und kann inzwischen frei Hand schreiben. In der ersten Monadologie für Georg Glasl, einem Solokonzert für Zither, habe ich versucht, die zellulären Automaten kompositorisch zu imitieren. Weil mir das nicht gelungen ist, habe ich in den Zehner-Nummern der Serie angefangen, Algorithmen zu verwenden und in den Zwanziger-Nummern wieder damit aufgehört.
Gab es dafür einen Kanon der Meilensteine?
Nein, ich habe ganz einfach meine Lieblingskonzerte gewählt. Das ging von Bach bis Ligeti. Sibelius habe ich immer wahnsinnig gerne gehört, Schönberg ist ein Meilenstein für mich, ein großes schönes Konzert. Beethoven ist wahnsinnig kritisch für mich, eigentlich ein Problemstück. Es sind also persönliche Präferenzen. Bach ist dabei sozusagen das Incipit.

Wie geht es weiter, wenn Sie die Violinkonzerte, aus denen Sie zitieren, bestimmt haben? Sie verwenden ja nicht die ganzen Werke.
Die Auswahl ist rein intuitiv. Es sind Stellen, die sich gut mit den Loops vertragen. Im Pop sagt man „Hooklines“. Es sind neuralgische Punkte, die sich sehr gut in einem Loop verhalten. Mein Stück beginnt aber komplett frei. Am Anfang steht eine riesige, sehr intensive, sehr schnelle und wahnsinnig schwere Solokadenz. Dabei habe ich schon an Ilya Gringolts gedacht. Dieser Anfang hat kein fremdes Material. Anschließend tauchen in der Fortspinnung der Materialien episodisch, eigentlich wie Erinnerungen, diese Konzertsituationen auf.
Erinnert sich das Orchester immer mit?
Ja, das trenne ich nicht, und ich verstehe das Zitat eher filmisch. Ich nehme es wie einen Videoclip und schneide es als Ganzes aus einem großen Kontext heraus.
Wie legen Sie den Weg durch das Material an? Folgen Sie einem großen Plan?
Nein, das ist totale Intuition. Ich löse es einfach aus meiner Erinnerung. Natürlich habe ich vorher sehr viel gehört. Ich wusste aber schon, dass ich aus rechtlichen Gründen weder Ligeti noch Schönberg zitieren durfte. Da habe ich Tricks anwenden müssen. Aber man hört den Ligeti und den Schönberg trotzdem sehr schön raus. Insgesamt ist es aber ein rein intuitiver Prozess. Ich denke beim Komponieren: Jetzt kommt der Bach daher. Und dann ist plötzlich das a-moll da.
Überraschen Sie sich selbst?
Ja. Es hat auch eine Antriebswirkung, wenn es mich beim Komponieren überrascht, dass ich einen neuen Bereich betrete. Aber ich wusste schon, dass Schönberg und Ligeti eher gegen den Schluss hin kommen und Bach eher am Anfang stehen wird. Eigentlich ist es eine Chronologie. So wandert ja auch der Geiger durch das Stück. Auch der Geiger fängt in seiner Laufbahn ja selten mit Ligeti an.
Wie ist diese Zeitreise formal aufgebaut?
Es gibt drei Sätze, die ineinander übergehen. Der Kopfsatz ist schnell, der Mittelteil elegisch und zum Schluss kommt das Nervöse hinein. Der Schluss ist ein Furioso, ein richtiges Finale.
Wie gehen Sie mit der unterschiedlichen Harmonik der geloopten Materialien um?
Ich arbeite mit einer speziellen Form von Spektralharmonik, die ich seit sieben oder acht Jahren entwickle und vor fünf Jahren perfektioniert habe. Es ist eine Summations-Differenzton-Harmonik.
Summations- und Differenztöne sind Kombinationstöne, die im Ohr beim gleichzeitigen Erklingen zweier unterschiedlicher Töne entstehen können. Welche Funktion haben diese gezielten Kombinationen bei ihnen?
Beim ParZeFool habe ich die Differenz- und Summationstöne ausgehend vom vierstimmigen Wagnersatz berechnet. Das heißt, man hört Wagner und zugleich keinen Wagner. Es ist eine Verschleierung des Originalklangs. Im Violinkonzert hört man zum Beispiel die Sibelius-Harmonien, aber eben ein bisschen spektral verschleiert.
Und damit nimmt man etwas Bernhard-Lang-Typisches wahr.
Hoffentlich. Es ermöglicht eine gewisse Homogenisierung des Klangbilds. Man muss es einfach einmal hören. Theoretisch es es schwer zu erklären, aber wenn man einen Differenzton vorführt, merkt man, dass da ein zusätzlicher Ton mitschwingt.

Weitere Informationen zum Konzert am 27. März 2020 mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks finden Sie auf www.br-musica-viva.de
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