Komponisten & Werke

Große Räume und berstende Ausdruckskraft

01.03.22 | Volker Rülke

»Mein Streichtrio ist für mich eines meiner wichtigsten Stücke (glaube ich jedenfalls)«, so Wolfgang Rihm über die abenfüllende Komposition Musik für drei Streicher, die am 9. März 2022 von Lawrence Power, Ilya Gringolts und Nicola Altstaedt im Herkulessal der Residenz aufgeführt wird.

Wolfgang Rihm © Astrid Ackermann

Im September 2015 fand im Rahmen des Musikfest Berlin ein denkwürdiges Konzert statt. In einem um die Streichquartette Arnold Schönbergs zentrierten Zyklus wurde nach dessen Streichtrio op. 45 die Musik für drei Streicher von Wolfgang Rihm aufgeführt. Rihm selbst saß im Publikum und folgte der Aufführung mit sichtlicher innerer Anteilnahme, von der auch noch die Dankesworte getragen waren, die er, auf die Bühne gebeten, an die Musiker richtete. Allen Anwesenden wurde unmittelbar anschaulich, dass diese damals schon fast 40 Jahre alte Komposition im Kosmos von Rihms überreichem Schaffen etwas Besonderes darstellt. »Mein Streichtrio ist für mich eines meiner wichtigsten Stücke (glaube ich jedenfalls) «, stellte Rihm 1985, schon mit einem gewissen Abstand zur Entstehung des Werks, in einem langen Gespräch mit Rudolf Frisius fest, das in die Ausgabe seiner Schriften aufgenommen wurde.

Es ist deshalb wohl kein bloßer Zufall, dass dieses Streichtrio im Unterschied zu den verschiedenen Werkreihen in Rihms Schaffen, insbesondere auch zum umfangreichen Schaffen für Streichquartett, ein Solitär geblieben ist. Bedeutsam für die Musik für drei Streicher ist auch der Zusammenhang mit Arnold Schönberg, in den Rihm in dem Berliner Konzert gerückt wurde. Nicht nur stellt die Musik Schönbergs allgemein einen wichtigen Bezugspunkt für Rihm dar, sondern speziell das Streichtrio op. 45 aus dem Jahr 1946, in dem Schönberg an seine expressionistische Phase der Jahre um 1911 anknüpft, teilt mit der Musik für drei Streicher wesentliche Gemeinsamkeiten.

Es ist auch in Schönbergs Schaffen ein Einzelfall und vor allem ebenso von einer nachgerade schrankenlosen Emotionalität und Intensität getragen. In beiden Stücken werden im Dienst des Ausdrucks verschiedene geräuschhafte Spieltechniken intensiv genutzt, die im Falle Schönbergs noch in ungewöhnlich waren, für Rihm aber bereits zum Arsenal der Avantgarde zählten, und zudem außerordentliche Anforderungen an die Virtuosität der Musizierenden gestellt. Dass Rihm das Streichtrio Schönbergs bei seiner eigenen Komposition quasi im Hinterkopf hatte, darf wohl angenommen werden. Während aber Schönbergs Streichtrio ein ausgesprochenes Alterswerk ist, ist die Musik für drei Streicher das Stück eines jungen Komponisten. Es entstand 1977 und trägt das Schlussdatum vom 27. Dezember. Rihm war damals 25 Jahre alt, hatte aber bereits ein Jahr zuvor mit der Uraufführung eines großen Orchesterwerks bei den Donaueschinger Musiktagen Furore gemacht.

Im selben Jahr 1976 war sein erstes durch und durch individuelles Streichquartett entstanden. Dessen sprechender Titel Im Innersten macht programmatisch deutlich, dass sich hier ein Komponist ganz der Gestaltung innerer Regungen verschreibt, ohne sich auf vorgängige Ordnungsmuster zu verlassen. Demselben künstlerischen Ansatz folgt auch die Musik für drei Streicher. Die aufsehenerregende Uraufführung des Stückes fand im Rahmen der Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik im Jahr 1978 statt und festigte maßgeblich Rihms Ruf als führende Stimme einer jungen Komponistengeneration. Es darf aber nicht vergessen werden, dass Rihm gleichzeitig nicht unumstritten war und sein Schaffen kontrovers diskutiert wurde. Viele dieser kritischen Positionen lassen sich heute kaum noch nachvollziehen, ebenso wenig wie die Etiketten, die Rihms Komponieren angehängt wurden. Mit dem Abstand von 40 Jahren tritt uns die Musik für drei Streicher als eine ebenso aktuelle wie unmittelbar fesselnde Komposition gegenüber.


Den kompletten Text von Volker Rülke finden Sie im Programmheft des Konzerts vom 9. März 2022.

9. März 2022 musica viva Konzert Herkulessaal der Residenz München Wolfgang Rihm Geburtstag Ilya Gringolts Lawrence Power Nicolas Altstaedt © LMN Berlin

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