Ensembles & Performer

ILAN VOLKOV - Magische Theaterklänge

16.12.17 | Egbert Hiller

Der Dirigent Ilan Volkov gibt am 19.1.2018 sein Debut beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit Markus Hechtle, Rebecca Saunders und Morton Feldman. Egbert Hiller sprach mit dem aus Israel stammenden Dirigenten über das Programm.

Foto: Ilan Volkov (c) Simon Butterworth

Egbert Hiller: Ein Orchesterstück von Markus Hechtle, ein Instrumentalkonzert von Rebecca Saunders und die konzertante Aufführung der Oper „Neither“ von Morton Feldman – was bewog Sie zu dieser ungewöhnlichen Kombination?

Ilan Volkov: Ja, das Programm mag überraschen, und ich lasse mich auch selbst gerne überraschen. Ich glaube aber, dass diese Zusammenstellung funktioniert, obwohl ich über das neue Werk von Markus Hechtle noch gar nicht viel sagen kann. Es ist eine Auftragskomposition der musica viva, und es hat mich sehr gereizt, die Uraufführung zu dirigieren, da ich mit Markus Hechtle zuvor noch nie gearbeitet habe.

Es ist für mich sehr aufregend, einen Komponisten zu treffen, den ich noch nicht kenne, mich mit seiner Musik zu beschäftigen und mit ihm über seine Ideen und Anliegen zu sprechen. Das sind Erfahrungen, die ich nicht missen möchte. Mir meine Neugier zu bewahren und immer wieder in unbekannte Klangwelten einzutauchen, ist ein zentraler Impuls meiner künstlerischen Aktivitäten.

Hiller: Von Markus Hechtle zu Rebecca Saunders ist der Weg womöglich nicht so fern, da beide Schüler von Wolfgang Rihm waren. Allerdings ist das schon länger her, und ein wesentliches Kriterium in Rihms Unterricht ist, junge Komponistinnen und Komponisten nicht auf eine ästhetische Richtung einzuschwören, sondern sie zu ermutigen, ganz eigene Wege zu gehen. Was fasziniert Sie an dem Weg, den Rebecca Saunders eingeschlagen hat?

Volkov: Vieles, zum Beispiel wie sie mit Klangbewegungen im Raum und mit Zeitstrukturen umgeht, wie sie kleinste musikalische Details ausgestaltet. In ihrer Musik gibt es unheimlich viel zu entdecken. Je tiefer man in diesen Kosmos vordringt, als desto reicher und komplexer entpuppt er sich. Mit dem BBC Scottish Symphony Orchestra habe ich im November 2015 die britische Erstaufführung ihres Trompetenkonzerts „Alba“ mit Marco Blaauw als Solisten gemacht, das ja bereits ein gemeinsamer Kompositionsauftrag mit der musica viva des Bayerischen Rundfunks war. Das war ein tolles Erlebnis, auch weil Rebecca Saunders sich sehr konzentriert mit den Interpreten austauscht.

Hiller: Den Titel „Still“ entnahm Rebecca Saunders einer Kurzgeschichte von Samuel Beckett. Ist das schon die Verknüpfung mit Morton Feldmans Oper „Neither“, die ja auf einem eigens für dieses Werk verfassten Text von Beckett basiert?

Volkov: Nun, beide Werke muten zunächst sehr unterschiedlich an. Aber Feldman übte starken Einfluss auf nachfolgende Generationen aus, bis in die Jetztzeit. Rebecca Saunders kennt Feldmans Musik natürlich. Verbindungslinien zwischen „Still“ und „Neither“ bestehen vor allem auf höherer Ebene – in der besonderen Intensität des Hörens, die beide Stücke einfordern und die bei entsprechender Einlassungsbereitschaft die musikalisch-sinnliche Wahrnehmung extrem beflügelt.

Hiller: Morton Feldmans „Neither“ ist keine Oper im traditionellen Sinne. Die konzertante Darbietung lenkt den Fokus umso stärker auf den Text, der mit einem konventionellen Libretto nichts gemein hat. Beckett lieferte Feldman 87 Worte, die er ausdrücklich nicht als Dialog oder Gedicht begriff. Es sind vielmehr Reflexionen über das Phänomen der Vergeblichkeit, geprägt von Verneinungen und scheinbar ausweglos in sich kreisenden Gedankengängen: „Hin und her im Schatten vom inneren zum äußeren Schatten / vom undurchdringlichen Selbst zum undurchdringlichen Unselbst / durch weder noch“, so lautet in deutscher Übersetzung die Anfangszeile. Auch hatte Feldman schon mit dem Komponieren begonnen, bevor er den Text erhielt, was ihn zu einem ironischen Kommentar motivierte: „Ich weiß nun, was eine Ouvertüre ist – warten auf den Text.“ Welche Rolle messen sie den Worten in „Neither“ zu?

Volkov: Eine entscheidende Rolle, denn, ob vorhanden oder nicht, die Worte markierten für Feldman die Initialzündung, wobei es ihm nicht auf den Sinn ankam. Er schrieb den Anfang der Oper in Erwartung der Worte, und auch als er sie dann kannte, vertonte er sie nicht traditionell. Die einzige Stimme, ein Sopran, entrückte er in gleißende Höhen, so dass sie kaum zu verstehen ist, da das Ohr lediglich die Vokale wahrnimmt. Unter diesen Vokalisen bewegen sich orchestrale Klangflächen wie in Zeitlupe, scheinbar absichtslos und ohne Ziel. Gerade das eröffnet ein breites Spektrum an Assoziationen, die in einer konzertanten Aufführung nicht in eine bestimmte Richtung gedrängt werden. Zusammen mit der Sopranistin Laura Aikin und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks möchte ich erreichen, dass im Kopf des Hörers ein suggestiver Klangraum, ein magisches Theater der Klänge entsteht.

 

Dieses Interview finden Sie in der Sonderveröffentlichung der musica viva des Bayerischen Rundfunks, welche der Neuen Musikzeitung von Dezember 2017 beiliegt. Das Gespräch wurde im Oktober 2017 geführt. 

Weitere Informationen zum Orchesterkonzert am 19.1.2018 finden Sie auf www.br-musica-viva.de.


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