Mahbanoo Ensemble © Farhad Bazazian
11. September 2023 | Bahar Roshanai

»Die Liebe zur Musik ist unsere Motivation.«

Das Māhbānoo Ensemble wurde im Jahr 2011, durch die Initiative von Majid Derakhshāni, gegründet. Die Gründung ist Ausdruck von Derakhshānis Anliegen, Frauen im Iran bei ihrer musikalischen Aktivität zu unterstützen und in der Gesellschaft sichtbar zu machen. Bahar Roshanai, Programm-Managerin im Bereich Musikvermittlung und Musikprojekte bei der Körber-Stiftung, hat ein Interview mit Majid Derakhshāni über die Besonderheiten der persischen Musik und die Rolle der Frau in der iranischen Musiktradition geführt.

Roshanai: Sie werden in der iranischen Gesellschaft »Ostād«, also »Meister«, genannt. Was zeichnet einen Ostād aus?

Derakhshāni: Die großen Meister zeichneten sich dadurch aus, dass sie einerseits die Radifs auswendig beherrschten …

Roshanai: Also die Sammlungen traditioneller Melodien und Gesange …

Derakhshāni: … und andererseits in der Lage waren, mit diesem Material kreativ, schöpferisch und individuell umzugehen. Die Radifs sind das wichtigste Repertoire der persischen Musik. Sie sind so etwas wie der Koran in der persischen Musiktradition. Sie wurden im 19. Jahrhundert von den beiden Brüdern Mirzā Hossein-Gholi und Mirzā Abdollah Farahani zum ersten Mal in der iranischen Musikgeschichte schriftlich zusammengestellt. Wer dieses System in all seiner Komplexität und Feinheit studiert hat, besitzt einen vollständigen Überblick über den Bestand der traditionellen persischen Musik, der Rhythmen und Melodien, Verzierungen und aller individuellen musikalischen Dialekte der unterschiedlichsten Regionen Irans.

Jede Art von Musik, sei es ein einfaches Schlaflied oder ein Liebeslied aus dem entlegensten Dorf Irans, wurde von den beiden Brüdern gesammelt und in diesem Band festgehalten. Aber wenn man dieses System in- und auswendig kennt und auf dieser Grundlage komponieren und improvisieren kann, wie es beispielsweise der Meister Abol Hassan Saba tut, dann kann man sich als »Ostād« bezeichnen.

Roshanai: Was ist das Besondere an der persischen Musik gegenüber der klassischen europäischen Musik?

Derakhshāni: Was die persische Musik von der westlichen Musik unterscheidet und als ihr Hauptmerkmal gilt, sind die Tonintervalle, die Vierteltöne. Wenn wir einen Modus, einen Dastgāh, wie »Segāh« oder »Šur« nehmen und die Vierteltöne weglassen, dann klingt das einfach nicht mehr nach persischer Musik.

Die »Weichheit« der Intervallbewegungen in der persischen Musik ist ein anderer Aspekt.
In der europäischen Musik sind große Intervallsprünge wie Quinten, Sexten oder Oktaven gängig. In der persischen Musik ist dies sehr selten, die Bewegungen sind eng geführt, ein Ton wird oft sehr fein und zart umspielt.

Die enge Verbindung und Beziehung zur persischen Sprache, Literatur und Poesie ist ein weiteres wichtiges Merkmal der persischen Musik. Gesang und Text spielen eine sehr zentrale Rolle.
Eine weitere Besonderheit ist, dass die Musik nicht polyphon ist, wie es in der klassischen Musik der Fall ist, sondern einstimmig, in seltenen Fallen auch zweistimmig.

Roshanai: Welche Rolle spielen Frauen in der iranischen Musiktradition vor und nach der Islamischen Revolution?

Derakhshāni: Die Rolle der Frau in der iranischen Musik ist sehr zentral und wichtig geworden. Vor der Islamischen Revolution gab es zwar das Recht, frei zu sprechen, aber es gab strengere traditionelle Werte innerhalb der Familien. Auch wenn es für uns heute unvorstellbar ist: Vor der Revolution gab es in den Familien mehr religiöse Tendenzen als heute. Deshalb galt Musik in vielen Familien als haram, als verboten.

Wir wissen aber heute, dass es vor etwa 100 Jahren viele professionelle und virtuose Instrumentalistinnen und Sängerinnen gab. Doch sie trauten sich einfach nicht, an die Öffentlichkeit zu gehen, weil es für Frauen als unmoralisch galt, zu musizieren. Während der Schah-Zeit hat die Musik einen neuen Stellenwert und ein hohes Ansehen bekommen. Doch die meisten Frauen in der Musik »blühten« erst nach der Islamischen Revolution auf, vielleicht als Zeichen des Widerstands gegen das Regime. Heute gibt es im Iran viele starke, selbstbewusste, talentierte und professionelle Musikerinnen und Sängerinnen.

Was die Ausübung der Musik angeht: Seit der Revolution und dem zunächst vollständigen Verbot jeglicher Art des Musizierens haben sich diese Vorgaben inzwischen etwas gelockert. In den größeren Städten ist es Frauen mittlerweile erlaubt, als Instrumentalistinnen aufzutreten. In kleineren und konservativeren Städten dagegen oft nicht. Das Singen für Frauen hingegen ist im Iran grundsätzlich verboten. Es sei denn, die Frauenstimme verschwindet im Chor oder wird von einer Männerstimme übertönt. Deshalb gibt es im Iran keine öffentliche Bühne für Sängerinnen. Trotzdem – oder gerade deshalb – gibt es eine enorme Zunahme an guten Sängerinnen im Land. Sie nutzen heute die sozialen Medien, um sich zu präsentieren.

Und eines wundert mich immer wieder und ich frage die Frauen oft: »Ihr dürft nicht singen, ihr dürft nirgendwo öffentlich auftreten; was motiviert euch, aus einer kleinen Stadt stundenlang nach Teheran zu fahren, um eine Stunde Gesangsunterricht zu nehmen?« Die Antwort lautet: »Die Liebe zur Musik, das ist unsere Motivation.«


Das vollständige Interview finden Sie in der Sonderbeilage der musica viva zur neuen musikzeitung, September 2023

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Alle Informationen zum Konzert des Māhbānoo Ensembles bei der musica viva am 27. September 2023 finden Sie hier:

Zum Konzert

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