Dirk Rothbrust © Astrid Ackermann
3. April 2024 | Julian Kämper

„Durch den Bühnenboden in die Erde“

Dirk Rothbrust übernimmt im musica viva-Konzert am 12. April 2024 den Solopart am Schlagzeug in Iannis Xenakis‘ Komposition Aïs. Im Interview mit Julian Kämper spricht er über seinen Zugang zu diesem Werk und zu Iannis Xenakis‘ Musik.

Kämper: Welches instrumentale Setup sieht Iannis Xenakis für Ihren Solopart in Aïs vor?

Rothbrust: Xenakis hat ein Schlaginstrumentarium gewählt, das für viele seiner Stücke typisch ist: eine Auswahl an verschiedenen Fellinstrumenten, die hinsichtlich ihrer Tonhöhe extrem gespreizt sind, von der sehr tiefen großen Trommel über Tom Toms und Congas bis hoch zu ganz kleinen Bongos. Dazu kommen noch Pauken, zwei Wood Blocks und zu Beginn ein paar Töne vom Glockenspiel.

Kämper: In Aïs thematisiert der Komponist den Schwellenbereich zwischen Leben und Tod. Er spricht im Werkkommentar davon, dass es kein Entrinnen aus dieser Polarität gebe. Inwiefern äußert sich, auch durch die Wahl des Instrumentariums, diese Polarität musikalisch?

Rothbrust: Mit der Entscheidung, das Orchester mit einem Sänger und einem Schlagzeuger zu kombinieren, erzeugt Xenakis schon im Ansatz eine größtmögliche Spannung. Die menschliche Stimme ist eng mit dem Atem verbunden, während das Schlagzeug eine ganz andere Ebene repräsentiert: die Erdung. Ich als Schlagzeuger haue bildlich gesehen rein, quasi durch den Bühnenboden in die Erde. Der Bariton bildet durch den Wechsel zwischen sehr tiefen Registern und Falsettstimme die verschiedenen Erregungen ab, und das korrespondiert mit den variantenreichen Klangwelten, die ich erzeuge. Das wiederum hängt an zahlreichen Fäden mit den Instrumentalgruppen des Orchesters zusammen. Das Stück ist ein sehr dichtes Geflecht aus Zusammenhängen, was die Musik so reichhaltig macht. Ich finde, das Publikum besitzt bei Aïs die Freiheit, diese musikalischen Korrespondenzen zu verfolgen oder aber das Ganze in seiner Dreidimensionalität einfach auf sich wirken zu lassen.

Kämper: Der Bariton – beim musica viva-Konzert wird Georg Nigl an Ihrer Seite sein – rezitiert altgriechische, mythologische Texte und drückt stimmlich die unterschiedlichen Empfindungen aus. Welche musikalischen Zusammenhänge gibt es zwischen Ihnen beiden?

Rothbrust: Wenn ich die Musik höre, fällt mir auf, dass sich die beiden Solistenrollen nie gegenseitig auslöschen, sondern eher addieren und verstärken. Weil Xenakis so komponiert hat, dass die Solopartien nicht immer übereinander liegen, kommentieren sie sich auf eine Weise, die auch mal dazu führen kann, dass man sich gegenseitig anspornt – auch ein Aspekt aus der Tradition der Doppelkonzerte.

Kämper: Sie haben auch schon Solowerke und Ensemblekompositionen von Xenakis interpretiert. Wie hat er für Schlagzeug geschrieben? Was zeichnet – auch über Aïs hinaus – die Musik aus?

Rothbrust: Wenn ich mit Studierenden oder jungen Komponist*innen arbeite, komme ich immer darauf zu sprechen, dass beim Schlagzeug ein großer Reichtum eigentlich in den leisen Dynamikstufen liegt. Im Filigranen und Leisen gibt es viel zu entdecken! Aber: Xenakis befindet sich auf der gegensätzlichen Seite dieser Skala. Bei ihm spielen sich die Klänge im lauten dynamischen Bereich ab. Dadurch erzielt er enorme Kraft und Intensität. In seiner Musik werden die Klänge in den Raum geschickt, wo sie konkret greifbar werden. Wenn ich Xenakis spiele, geht es mir oft so, dass ich die Klänge, die ich herstelle, förmlich im Raum sehen kann – wie eine Kugel oder einen Punkt im Raum. Und weil tiefe, länger nachklingende Instrumente mit hohen, kurz nachklingenden kombiniert werden, überlagern sich die Klänge im Raum und werden in ihrer Gesamtheit sehr plastisch.

Kämper: Das klingt, als gehe Xenakis‹ Musik die Hörerinnen und Hörer fast körperlich an. Vielleicht in besonderer Weise, wenn in Aïs etwas so Existentielles verhandelt wird?

Rothbrust: Bei der Frage nach Leben und Tod komme ich auf Leonard Cohen zurück, der sich sehr mit Spiritualität und dem Sterben auseinandergesetzt hat. Er hat in einem Interview einmal das Folgende gesagt: »Wenn man das große, unausweichliche Scheitern ausdrücken will, das uns alle erwartet, muss es in den strengen Grenzen von Würde und Schönheit geschehen.« Das ist für mich ein wichtiger Satz, der dem entspricht, was ich als Interpret täglich auf der Bühne versuche. Ich glaube, das trifft auch auf Aïs zu.


Alle Informationen zum musica viva-Konzert am 12. April 2024 finden Sie hier:

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Werke von Peter Eötvös, Francesco Filidei, Elizabeth Ogonek und Iannis Xenakis

Freitag, 12. April 2024, Herkulessaal der Residenz

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