„Radiowellen sind nicht durch Grenzen beschränkt“
Im musica viva-Konzert am 20. Dezember wird Bernhard Langs GAME 18 Radio Loops uraufgeführt: ein Kompositionsauftrag der musica viva/BR anlässlich 75 Jahre Bayerischer Rundfunk und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Dafür hörte sich der österreichische Komponist durch Audioarchivmaterial der ARD.
Auf der Suche nach ikonischen und geschichtsträchtigen Pausenzeichen, die er später den für seine Musik charakteristischen Wiederholungsstrukturen unterzog. Im Gespräch mit Julian Kämper hat Bernhard Lang über die neue Komposition und seine Faszination fürs Radio gesprochen.
Julian Kämper: Musik und Hörfunk richten sich, im Unterschied zu den anderen Künsten und Medien, primär an das Ohr. Mit GAME 18 Radio Loops entwerfen Sie eine Musik über das Radio. Wie ist die Idee entstanden?
Bernhard Lang: Als ich im Jahr 2020 bei der musica viva mein Violinkonzert uraufgeführt habe, führten Winrich Hopp und ich mehrere Gespräche über den Bayerischen Rundfunk: über seine ikonische Wirkung und die Bedeutung in der Nachkriegszeit bis heute. Nun, anlässlich des 75-jährigen Jubiläums des Bayerischen Rundfunks entstand die Idee für ein neues Orchesterstück, das auf verschiedenen Pausenzeichen, diesen akustischen Symbolen des Hörfunks, basiert. Ohnehin spricht mich die Ästhetik von Jingles und Loops in der Musik sehr an. Das Stück ist also buchstäblich eine Zeichensetzung im Kontext des Hörfunks, seiner Geschichte und Gegenwart.
Kämper: Welche persönliche Verbindung haben Sie zum Radio? Sind Sie mit diesem Medium sozialisiert worden?
Lang: In den 70er Jahren, als ich ein junger Mensch war, ist man abends mit dem Radio im Bett gelegen und hat Popmusik von zum Beispiel Radio Luxemburg oder Piratensendern gehört. Das Radio war ein Teil meiner Musikerziehung, in den Radiosendungen über Neue Musik habe ich vieles kennengelernt. Die Rundfunkanstalten haben über Jahrzehnte die Produktion von zeitgenössischer Musik ermöglicht, waren wichtig für die Entwicklung der elektronischen Musik. Das hatte natürlich auch etwas Widerständiges, weil man sich dem Kommerz entgegenstellte. Dadurch waren die Rundfunkanstalten auch ein Teil der europäischen Kulturdefinition. Derzeit gibt es einige, die das anders sehen und – so könnte man sagen – das Familiensilber aus dem Fenster schmeißen und die europäische Kulturidenttät gegen einene kapitalisierte austauschen wollen. Und das ist fatal.
Kämper: Schlussendlich haben Sie sieben Pausenzeichen ausgewählt. Dafür haben Sie sich zunächst einmal in die Untiefen der Archive gestürzt – uferlos?
Lang: Das war eine lange und spannende Recherche, bei der es unheimlich viel tolles Material zu sichten galt. Von Anfang an war mir klar, dass der »Alte Peter« als Erkennungsmusik des Bayerischen Rundfunks unbedingt dabei musste. Die weiteren Pausenzeichen stammen von der BBC, der Deutschen Welle Köln, von Radio Kiew, Radio Peking, Radio Moskau und Radio Warschau. Denn Radiowellen sind ja nicht durch Grenzen beschränkt. Die Dimension der Internationalität habe ich bei meinen Radioerfahrungen immer sehr geschätzt. Wenn ich damals in der Nacht mit Transistorradio und einem Kopfhörer englische Rockmusik eines britischen Piratensenders gehört habe, war das ein Abenteuer.
Kämper: Welche Eigenschaften mussten die Pausenzeichen aufweisen, um für Ihre Orchesterkomposition interessant zu sein?
Lang: Die Komposition besteht aus sieben Sätzen, die zwar ineinander übergehen, die durch die jeweiligen Signaturen, auf denen sie basieren, aber als verschiedene Sätze erkennbar sind. Ich habe Jingles ausgesucht, die sehr variabel sind. Das betrifft nicht nur den internationalen Kontext, sondern auch die musikalischen Kriterien: Was ist klanglich überhaupt interessant? Beim Durchhören bin ich zum Beispiel auch auf alte und kaputte Audiodateien gestoßen, die verzerrt und verrauscht waren. Die haben mich mehr und mehr interessiert. Die klanglichen Originale werden durch Wiederholungsstrukturen transformiert. Dabei kommen Prinzipien zum Zug, die ich schon seit vielen Jahren in meinen GAME-Stücken anwende: in variablen und improvisatorischen Strukturen werden – je nach Determinationsgrad – Entscheidungen an die Musikerinnen und Musiker des Orchesters übergeben. Es wird das erste Orchesterstück in dieser Werkreihe sein, und ein ziemliches Wagnis dazu. Aber ich bin dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks inzwischen seit 20 Jahren verbunden – deshalb wage ich das.
Alle Informationen zum musica viva-Konzert am 20. Dezember finden Sie hier:
Symphonierochester des Bayerischen Rundfunks mit David Robertson
Werke von Bernard Lang, Unsuk Chin und Philippe Manoury
Freitag, 20. Dezember 2024, Herkulessaal der Residenz
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